Sumo-Fan werden

Wissenswertes zum Thema Ozumo

Moderator: tsunamiko

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Ganryu
2 Tipspiel Yusho
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Sumo-Fan werden

Beitrag von Ganryu »

Anläßlich eines Beitrags für das SFM geriet ich ins Grübeln. Nach der Darstellung, wie ich persönlich ans Sumo gelangte, habe ich dann zur Entspannung einen nicht ganz ernst gemeinten kurzen Abriß mit den wichtigsten Erläuterungen für Sumo-Interessierte verfaßt:


Sumo-Fan werden. Ein kurzer Abriß für Interessierte

Ihr wollt Sumo-Fans werden? Nun, das ist keine Schande. Sumo ist der japanische Nationalsport, und schon viele sind dem Reiz der fast nackten dicken Männer verfallen, die sich im Ringstaub wälzen. Sie sind aber nur fast nackt, denn als einzige Bekleidung tragen sie einen soliden farbigen Gürtel um den Bauch, den "mawashi". Eine irreführende Bezeichnung übrigens, denn selbiger wird nicht ab und zu "mal gewaschen", sondern nur zum Trocknen in die Sonne gehängt, die in Japan allerdings häufiger scheinen könnte.

In jedem Jahr finden in Japan sechs große Sumoturniere statt, die Hon-Bashos, und zwar fallen sie immer in die ungeraden Monate. Warum das so ist, weiß kein Mensch. (Übrigens weiß ich auch nicht, warum man in unserer Straße nur an geraden Tagen parken darf, aber ich denke, das hat nichts mit Sumo zu tun.)

Für so ein Turnier wird in der Sporthalle jedesmal ein ordentlicher Haufen Lehm zu einer Art Plattform gestapelt, dem sogenannten Jojo, auf dem später die Kämpfe ausgetragen werden. So ein Jojo sollte möglichst stabil gebaut sein, denn zwei Wochen sind für einen durchschnittlichen Haufen Lehm doch eine lange Zeit. Vor allem, wenn man ständig auf ihm herumtrampelt und ihn nicht begießt. Die Baumeister sind deshalb gesuchte Spezialisten und meines Wissens die einzigen Menschen, die in Ausübung ihres Berufes barfüßig Befehle erteilen. Wer von Euch also denkt, er könnte nach einem Wochenendseminar "Sensitives Strandburgenbauen" auf Norderney mit dem Bau eines Jojos in Tokyo die schnelle Mark machen, der hat sich geschnitten.

Jedes Turnier dauert fünfzehn Tage, eine Zeitspanne, die man hier im Münsterland "gut zwei Wochen" nennt. An jedem Tag muß jeder Rikishi (so nennt man die aktiven Kämpfer) gegen einen Kollegen antreten. Sumokämpfe verlaufen immer gleich: Die Rikishi kommen in den Ring, schauen sich um, schätzen dabei ab, ob die Zuschauerbeteiligung für eine Prämie reicht und greifen gedankenlos aus einem herumstehenden Holzeimer eine Handvoll Popcorn, um sich zu stärken. Dann erkennen sie, daß es sich um Salz handelt und schleudern das Zeugs verächtlich in den Ring. Dort wird es von bereitstehendem livriertem Personal wieder weggefegt. (Mißtrauischere Naturen vergewissern sich erst noch durch eine Geschmacksprobe, ob es sich wirklich um Salz handelt, womit sie dem Gegner wertvolle Hinweise auf ihren Charakter geben.) An diesem Brauchtum könnte man im Sinne der Kosteneinsparung sicher noch arbeiten, aber das Publikum liebt es.

Dann setzen sich die Gegner auf Zehenspitzen gegenüber, starren sich an und probieren aus, wer das am längsten aushält. Irgendwann reißt dem Gyoji (Schiedsrichter) aber der Geduldsfaden, und er erkundigt sich in ziemlich unverblümtem Tonfall bei den Kontrahenten, wann sie denn nun gedächten, die Feindseligkeiten aufzunehmen. Um diesem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, hält er den beiden ein lackiertes Holzstück hin, und schon gehen die beiden aufeinander los. Dieser Trick klappt erstaunlicherweise jedes Mal, obwohl ihn alle doch schon des öfteren mitbekommen haben. Nur von Zeit zu Zeit, wenn einer der Kämpfer so schnell ist, daß der andere ihn nicht kommen sieht, entschuldigt sich der bei ihm, und man fängt noch einmal von vorne an. Das nennt man Matte, aber fragt mich nicht, wieso.

Dann prallen die Herren hörbar aufeinander, was gemeinhin "Tai-chi" genannt wird, und nach kurzem Gerangel fliegt der Schwächere aus dem Ring und landet auf einem oder mehreren Zuschauern in der ersten Reihe, die viel Geld für die Chance ausgegeben haben, von einem Drei-Zentner-Mann erschlagen zu werden. Uns erscheint das wunderlich, aber das ist halt der Fatalismus der Japaner im Hinblick auf ihren Nationalsport. Ich habe mir sagen lassen, daß eine Menge von diesem Zusammenprall, dem Tai-chi, abhängt. Dabei ist mir auch klar geworden, warum die Chinesen beim Sumo niemals eine Rolle spielen werden, denn was die in ihren öffentlichen Parks als Tai-chi praktizieren, ist höchstens dazu geeignet, einem durchschnittlichen Sumotori Tränen der Verzweiflung in die Augen zu treiben.

Abends gehen die Sumotori in ihre "Heia", um morgens in aller Herrgottsfrühe ihr Training wieder aufzunehmen. Heias gibt es nicht wenige, aber wenn zwei Rikishi in dieselbe Heia gehen, brauchen sie nicht gegeneinander zu kämpfen. Das scheint mir eine faire Regelung zu sein. Damit in der Heia alles mit rechten Dingen zugeht, gibt es immer einen Vorstand, den Oyakata. Der hat meistens eine Frau (Origami-san), die beim Papierfalten aufs Geld schaut und aufpaßt, daß keiner der Insassen zuviel wasabi auf seine sashimi streicht, denn sonst wird die Sache für den Oyakata finanziell uninteressant. Beim Training sitzt der Oyakata neben dem Jojo und liest die Bild-Zeitung, um sich das Trauerspiel nicht ständig ansehen zu müssen. Ab und zu erscheint ein Angestellter und informiert ihn darüber, was im Jojo so alles passiert.

Je nachdem, wie die Kämpfe während der Turniere ausgehen, steigen oder sinken die Sumotori in der Gunst des allgewaltigen NSK, des nationalen Sumo-Komitees, das nach jedem Turnier eine Rangliste (Buzuki) herausgibt, auf der die Kämpfer nachlesen können, wieviel sie dem NSK noch wert sind - nichts für zartbesaitete Naturen. Auf der Buzuki stehen Name und Dienstgrad jedes Rikishi säuberlich verzeichnet, und wer etwas dagegen hat, kriegt es mit dem Komitee zu tun. Letztlich hängt es vom Dienstgrad eines Sumotori ab, wie lange er ausschlafen darf, und ob er am Kessel (also beim Essen) bevorzugt behandelt wird, so daß das Komitee mit seiner Einstufung schon einigen Einfluß ausübt.

Überhaupt ist das mit dem Essen so eine Sache. Als gelernter Sumotori braucht du eine Statur wie der legendäre Hustinetten-Bär aus den 70ern, wenn du nicht gleich wieder aus dem Jojo gekickt werden willst. Allerdings solltest du schneller auf den Beinen sein als der und dich im Jojo nicht damit aufhalten, Mentholbonbons zu verteilen. Da heißt es nicht nur viel essen, sondern sehr sehr viel viel essen; denn irgendwo muß das Gewicht ja herkommen, wenn man es ständig nebenher schwitzenderweise wieder abtrainiert wie nicht gescheit. Um die Sache zu vereinfachen, stellt deshalb jeder Oyakata einen großen Kessel in die Küche, in den die unteren Chargen von morgens früh bis abends spät alles hineinschnippeln müssen, was sich im Hause an Kalorien finden läßt. Das Ganze nennt sich Chanko-nabe (übersetzt etwa: "gedrängte Wochenübersicht"), wird ständig am Köcheln gehalten und im angewärmten Zustand verteilt, wobei die Größten und Stärksten am schnellsten bedient werden und sich das Beste herausfischen lassen (survival of the fattest).

Gewichtsklassen gibt es beim Sumo nicht - es dürfen also auch eher mickrige Gestalten von 110 oder 120 kg mitmachen. Die müssen sich darauf verlassen, daß sie schnell genug sind, um vom Gegner nicht gesehen zu werden. Bevor der sie also mit einer einzigen Handbewegung niederstrecken kann, laufen sie um ihn herum wie ein Höhlenmensch um das Mammut und suchen nach einer Möglichkeit, ihn zu Fall zu bringen. Meist geht das nur, indem sie die Eigenbewegung des Kollegen zu seinem Nachteil auslegen. Das nennt man henka, und es wird nicht gerne gesehen. Vor allem, wenn der Gegner schon die höheren Sumodienstgrade erreicht hat (das Publikum mag es lieber, wenn die Kleinen regulär niedergestreckt werden).

Dienstgrade gibt es beim Sumo allerlei verschiedene, die jedoch weder durch die Gürtelfarbe noch durch sonstige Abzeichen kenntlich gemacht werden. Es wird einfach davon ausgegangen, daß jeder Sumotori dem Gegner und dem Publikum so hinreichend bekannt ist, daß er ihnen schon zum Halse heraushängt. Trotzdem stellt sich vor jedem Kampf ein bunt gewandeter Herr in den Ring und singt dem Publikum vor, wer als nächstes gegeneinander kämpfen wird. (Das ist in Japan ganz anders als bei uns, wo Sänger/innen von einem Sprecher angekündigt werden.) Dabei hält er einen Fächer vor sich, um sich vor eventuell herumfliegenden Eiern, Tomaten, etc. zu schützen, wenn dem Publikum sein Gesang nicht gefällt.

Am unteren Ende der Buzuki findet man die Meckershira, das sind die Burschen, die schweratmend die Hürde zur obersten Division erklommen haben, ohne bereits irgendwelche Verdienste erworben zu haben. Zu sagen haben diese Kollegen recht wenig, es sei denn, sie kommen in die Sake-Ränge. Dabei wird man zunächst Komusu-bubi, was nicht viel mehr bedeutet, als daß hier jemand versucht, an das große Geld zu kommen. Man wirft ihn dann systematisch den oberen Rängen zum Fraß vor, so daß er sich im allgemeinen schnell wieder in den unteren Regionen der Buzuki wiederfindet.

Ist der Mann aber hartnäckig, wird er zum Sake-wake befördert. Auf dieser Rangstufe angekommen, versucht man, ihn auf subtilere Art von den Großverdienern fernzuhalten; so zum Beispiel, indem man ihn bei den einschlägigen Siegesfeiern dermaßen mit Reisschnaps abfüllt, daß er seine Heia nicht wiederfindet, durch die Stadt irrt und sein Heil fortan im Investmentbanking suchen muß.

Aber manche überstehen auch das, und die werden dann zum Ozeki ernannt, wo sie ein relativ beschauliches Leben führen und ruhig auch mal verlieren können - ein Umstand, der bei den niederen Chargen ja gerne mal als Anlaß für einen Absturz genommen wird.

Als Ozeki aber wird man vom Komitee nur milde ermahnt, wenn man sich mal wieder von Unterlingen hat überrumpeln lassen. Und selbst wenn man danach (!) nach einem weiteren verkorksten Basho nur noch als Sake-wake an der Reisschnapsflasche hängt, kann man sich durch ein energisches 10-5 wieder auf die Sonnenseite katapultieren. Man hat also genügend Muße, um sich in aller Ruhe auf den Rang eines Yokozunas zu hieven, eines Sumo-"Großmeisters". Von dort kann man zu Lebzeiten nicht mehr vertrieben werden, auch wenn das Komitee einem ziemlich deutlich zu verstehen gibt, daß die Zeit des Abtritts gekommen ist, wenn die Siege rar werden. Über dem Yokozuna schließlich steht nur noch Yoko Ono. Aber seit John Lennon von uns gegangen ist, wird diese Ansicht praktisch nur noch von ihr selbst vertreten. Merke: auch als Japanerin hat man die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen.

Ich hoffe, daß der geneigte Leser jetzt mitbekommen hat, wie der Hase im Sumo-Geschäft läuft und mitreden kann, wenn sich die Kollegen im Sumo-Chat über fachliche Fragen auslassen. Im übrigen läßt sich ein schlauer Anfänger auch durch seine Art der Fragestellung kaum noch von einem Experten unterscheiden. Hier ein fiktiver Beispieldialog im Chat über die Methode, wie ein Anfänger herauskriegt, was er wissen will, ohne dabei wie ein Depp dazustehen:

FALSCH:
Anfänger: "Wer ist denn der Dicke da mit dem grünen Gürtel?"
Experte: (würdigt ihn keiner Antwort; wundert sich, daß jemand Miyabiyama nicht erkennt)

RICHTIG:
Schlauer Anfänger: "Ah, Asasekiryu hat seine Mawashifarbe auf grün gewechselt."
Experte: "Aber das ist doch Miyabiyama."
Schlauer Anfänger: "Ach ja, stimmt - bei dem kleinen Bild im Stream habe ich ihn nicht gleich erkannt."


In diesem Sinne viele Grüße,

Kana-san

Andriko
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Beitrag von Andriko »

Ein köstlicher Start in den neuen Arbeitswochen-Montag, vielen Dank Kana-san :D .

Jetzt weiß ich auch endlich, wie ich meine Berufsbezeichnung korrekt aussprechen muss: Sake-retärin.

Liebe Grüße,
Andriko

Hakanonami
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Beitrag von Hakanonami »

Echt gattings :mrgreen: Genau das richtige für einen Null-Bock-Arbeitstag

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tekariko
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Beitrag von tekariko »

Danke,

der Tag hat mit Lachen begonnen.


Tekariko

Matitsuomi
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Beitrag von Matitsuomi »

:lol:

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Holleshoryu
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Beitrag von Holleshoryu »

... göttliche Komödie ... :lol:

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